Viersen · Stephan Hähnel geht an Schulen, um Kindern beizubringen, wie sie spannende Gruselgeschichten schreiben können. Warum die Frage, wie man auf eigene Ängste reagiert, dabei helfen kann.
Von Jule Rütters
Wie schreibe ich eine spannende Gruselgeschichte? Eine Frage, die den Fünftklässlern des Albertus-Magnus-Gymnasiums Viersen vor wenigen Tagen vom Schriftsteller Stephan Hähnel beantwortet wurde. Seit 13 Jahren kommt der Berliner einmal im Jahr an den Niederrhrin und gibt Workshops an der Schule. Solche Schreibseminare gibt er nicht nur an Gymnasien, sondern an verschiedenen Schulen in ganz Deutschland. „Alle Kinder brennen darauf, zu schreiben“, sagt Hähnel.
In Viersen beginnt der vierstündige Workshop damit, dass Hähnel eine Passage aus einem seiner Gruselbücher vorliest. Doch das allein reicht nicht, um zu verstehen, wie sich eine gruselige Geschichte erzählen lässt. Um mit den Kindern das Schreiben zu üben, wählt Hähnel, der selbst Autodidakt ist, die modulare Form. „Ich gebe den Kindern einen Leitfaden mit Elementen an die Hand“, erklärt er. „Natürlich könnte ich auch sagen, eure Geschichte muss aus einer Einleitung, einem Hauptteil und einem Schluss bestehen, aber damit kommen viele Kinder nicht klar.“
Stattdessen arbeite er mit Bildern. Das fängt damit an, sich einen Ort vorzustellen, an dem die Geschichte stattfinden soll. „Einen gruseligen Ort“, ergänzt der Autor. Das könne ein alter Bahnhof sein, ein verlassenes Forsthaus, eine verwitterte Villa. „Da sind manchmal auch ganz tolle Orte dabei, zum Beispiel ein Rummelplatz oder ein alter Friseur“, schwärmt er, als er von den Ideen der Kinder erzählt.
Um anschließend eine Atmosphäre zu schaffen, sagt Hähnel, sei es wichtig, sich den Ort genau vorzustellen. „Wie sieht es dort aus?“, fragt er. Vielleicht wachse aus dem alten, verlassenen Haus ein Baumstamm raus. An der Wand hängen vielleicht Spinnweben, und alles könne mit Staub überzogen sein. „Und dann braucht es natürlich noch einen Grund, den gruseligen Ort zu betreten“, führt Hähnel aus. Er zählt verschiedene Ideen auf: „Stellt euch vor, ein signierter Fußball kullert in ein verlassenes Haus. Oder ein Hund läuft rein. Es könnte auch ein Unwetter aufziehen.“ Dann erst könne etwas passieren. Der Schriftsteller rät auch dazu, sich grundsätzlich auf drei Dinge zu fokussieren, die das Geschehen eindeutig beschreiben. „Nicht mehr und nicht weniger“, sagt Hähnel. Egal ob es Personen oder Orte seien, bei zu vielen Beschreibungen würde es zu kompliziert.
Um eine spannende Gruselgeschichte zu schreiben, könne auch die Frage helfen: „Wie gehe ich mit meiner Angst um?“ Manche Kinder würden sagen, dass sie dann erstarren oder weglaufen. Oder dagegen ankämpfen. Sich mit den eigenen Gefühlen und Reaktionen zu beschäftigen, sei hilfreich, um eine solche Geschichte besser zu schreiben, sagt Hähnel. „Schreiben ist wie Atmen“, fügt er hinzu. „Wenn ich mir vorstelle, wie eine Person atmet, die Angst hat, schreibe ich kürzere Sätze“, erläutert der Autor. Sätze, die mehr Spannung erzeugen und gerade für Kinder schnell umsetzbar sind.
Nach der Einführung könnten es die meisten Kinder gar nicht abwarten, ihre eigene Gruselgeschichte zu verfassen. Bis zu einer Stunde würden die Schüler manchmal schreiben, dann liest jeder vor. Wer nicht möchte, werde nicht dazu gezwungen, versichert Hähnel. „Aber motiviert“, fügt er hinzu. „Manche schreiben so gut, aber lesen nicht vor“, sagt er. Doch er weiß: „Schreiben ist auch Mut.“ In den Workshops, die er meistens mit Kindern im Alter von neun bis zwölf Jahren macht, gebe Hähnel ehrliche Kritik. Er sage auch, wenn die Geschichte nicht spannend erzählt ist. Alle Kinder seien in dem Moment Autoren. „Man muss sie ernst nehmen“, betont Hähnel.
Dazu gehöre auch, klare Regeln zu setzen. Nicht nur, wenn Schüler provozieren, auch, wenn aus einer Gruselgeschichte eine Horrorgeschichte wird. „Ein Toter darf drin vorkommen“, ist die trockene Antwort auf die Frage, wo der Unterschied liegt. Wobei es auch gut sei, die Grenzen zwischen den Genres auszutesten. Der 63-Jährige hat angefangen, Workshops an Schulen zu geben, da war noch nicht mal jede erwachsene Person im Besitz eines Handys. Dass viele Kinder ihre Fragen mittlerweile problemlos mithilfe von Künstlicher Intelligenz beantworten können, bemerke Hähnel auch bei den Workshops. „Das Niveau nimmt ab“, stellt er fest. „Über alle Schulformen hinweg.“ Dafür macht er nicht nur die Technik, sondern auch die Eltern verantwortlich. „Man merkt, dass die Eltern sich weniger Zeit nehmen“, resümiert Hähnel.
Kreativität sei dennoch da. Er erzählt von Klassen, die aus ihren Geschichten ein Hörspiel entwickeln, und dafür nach Geräuschen suchen. „Kinder denken freier“, sagt er, als er die Schreibworkshops vergleicht, die er auch vor Erwachsenen gibt. „Manche Ideen der Kinder sind so toll, die würde ich selbst gerne weiterverfolgen“, sagt Hähnel und schmunzelt. Auch erlebe er immer wieder, dass Kinder, die nicht von Anfang an mitmachen, am Ende interessierter aus dem Workshop rausgehen. Seine Erfahrung ist: „Es hilft Kindern, etwas zu Ende zu bringen.“ Auch wenn nicht jede Geschichte immer im Workshop fertig werde, würden es viele schaffen, gute Cliffhänger an das vorläufige Ende zu setzen.
Quelle: Rheinische Post (8.11.2025)

